Sonntag, 24. Juli 2011

Ein Rollstuhl für die Ente oder Betrachtungen zu deren Weiterentwicklung

Was für den Gehbehinderten der Rollstuhl, ist für ein Flugzeug die Auftriebshilfe zur Verbesserung der Start- und Landeeigenschaften. Speziell in diesem Kapitel geht es um den Einsatz von Strakes am Hauptflügel einer Ente. Für die weiteren Betrachtungen stütze ich mich auf einen Artikel über Strakes aus der Zeitschrift „Modell“, Ausgabe 11/1978.
Sehr gut durch entsprechende Auftriebshilfen lässt sich der Auftriebsbeiwert Ca beeinflussen, nur müssen wir dabei wieder die Besonderheiten eines Entenflugmodells beachten.

  • Im Langsamflug muss die Strömung immer zuerst am Kopfflügel abreißen. Insofern sind hier alle auftriebserhöhenden Maßnahmen mit Vorsicht zu verwenden.
  • Eine Erhöhung des Auftriebs am Hauptflügel bewirkt durch die Druckmittelpunktverschiebung nach hinten im Gegensatz zu einem Normalmodell ein kopflastiges Moment.

Die Anwendung konventioneller Auftriebshilfen wie Klappen oder Vorflügel ist damit auch für den Hauptflügel fragwürdig, weil das kopflastige Moment seiner Auftriebserhöhung ebenfalls durch eine Auftriebserhöhung des Kopfflügels ausgeglichen werden muss, um das Gleichgewicht wieder herzustellen.
Je länger ich also darüber nachdachte, umso mehr Gedanken machte ich mir über den Sinn der Strakes am Hauptflügel und deren Wirkung. Zu diesem Zeitpunkt war das Folgemodell meiner Ente, der Sekato, bereits soweit gediehen, dass es nur noch um die Bespannung vor einer möglichen Anbringung der Strakes ging.
Doch beginnen wir ein wenig mit der Theorie der Strakes. Diese entstanden Anfang der 70er Jahre bei der Entwicklung von Kampfflugzeugen, um den Auftrieb zu steigern ohne gleichzeitig dabei den Widerstand gleichermaßen ansteigen zu lassen.
Es gibt drei Grundformen von Strakes:

Bild 1: Strakes-Grundformen

Eine extrem starke Pfeilung (mindestens 75 Grad) und eine scharfkantige Vorderkante des Strakes sind allen Formen gleich. Die Strakes gehen ohne Kanten oder Sprünge direkt in den Flügel über.
Die Fläche des Strakes sollte 20-35 % der Fläche des dahinter liegenden Flügels betragen. Der Querschnitt kann auf folgende Arten gestaltet werden:

Bild 2: Strakes-Querschnittsformen

Im Modellbaubereich am einfachsten zu realisieren ist die erste Variante A in Verbindung mit einem dreieckigen Grundriss. Wirkungsvoller sollen die Varianten B und C sein, da sie im ersten Fall in den Rumpf eingearbeitet und im zweiten Fall gewölbt sind.
Die Wirkung der Strakes liegt darin, dass die Verbindung aus starker Pfeilung mit einer scharfen Kante bereits bei kleinen Anstellwinkeln zur Bildung eines Wirbels führt, der sich stromabwärts bewegt (Bild 3), deshalb nennt man ihn wahrscheinlich wegen seiner Ähnlichkeit mit den Schultüten von Schulanfängern „Tütenwirbel“. Dieser Wirbel ist äußerst stabil, ab einem Anstellwinkel von etwa 5 Grad entsteht er und löst sich auch bei Anstellwinkeln über 25 Grad von der Oberfläche der Strakes nicht ab.
Am interessantesten für uns Modellbauer ist aber, dass die Strakes Re-Zahl unabhängig sind, d. h. ihr Effekt entsteht auch im Re-Zahl bereich, in dem wir fliegen und ist damit ebenso an unseren Modellflugzeugen nutzbar wie das Bild 4 zeigt.
Bild 3: Wirkungsweise des Strakes, Bildung eines Tütenwirbels


Bild 4: Auftriebserhöhender Effekt der Strakes

Der durch die Strakes entstehende Tütenwirbel verändert das Auftriebs-, Widerstands und Momentenverhalten der Kombination aus Strakes und Flügel.


Bild 5: Gegenüberstellung des Ca/Cw-Verhältnisses beim Normalflügel und einer Strakes-Flügelkombination

Aus dem Bild 5 lässt sich erkennen, dass

  • der Winkel γ des besten Gleitens durch die Strakes kaum verändert wird (die Tangente durch den Nullpunkt ergibt den Winkel des besten Gleitens),
  • die Kombination deutlich höhere Ca-Werte erzielt, das kann im Einzelfall bis zu 60 % sein und
  • mit einem gutmütigen Überziehverhalten auch bei hohen Anstellwinkeln zu rechnen ist.

Man kann also mit Strakes bei gleichbleibender Landegeschwindigkeit mit einer höheren Flächenbelastung fliegen oder umgekehrt bei geringer Flächenbelastung eine Reduzierung der Landegeschwindigkeit erzielen. Der stabile Tütenwirbel lässt auch die Verwendung dünner Profile mit weniger als 10 % Dicke problemlos zu.

Die Autoren des Artikels über Flügel mit Strakes testeten deren Einfluss an einem konventionellen Modell. Der Test führte  zu einer extremen Schwanzlastigkeit, d. h. der Druckmittelpunkt verschob sich deutlich nach vorn, in dem Testmodell erhöhten die Strakes den Auftrieb des Flügels aufgrund von Nachberechnungen um rund 35%.
Wie oben bereits erwähnt, heißt das bezogen auf ein Entenmodell: Da Kopf- und Hauptflügel gleichermaßen Auftrieb erzeugen, um das Flugzeug zu stabilisieren (im Gegensatz zu einer „normalen“ Auslegung, bei der das Höhenleitwerk gegen den Auftrieb des Flügels arbeitet), bedeutet die Auftriebserhöhung durch Strakes am Hauptflügel eine Druckmittelpunktverschiebung nach hinten und somit eine Verlängerung des Hebelarmes für den Kopfflügel oder einfacher gesagt: die Steuerwirkung des Kopfflügels um die Querachse müsste sich zwar verbessern, das Modell aber kopflastig werden!. Umgekehrt würden Strakes am Kopfflügel den Druckmittelpunkt nach vorne wandern lassen, folglich die Steuerwirkung verschlechtern sowie zur Schwanzlastigkeit beitragen. Zusätzlich läuft man in diesem Falle Gefahr, dass die Strömung am Hauptflügel schneller abreißt als am Kopfflügel. In diesem Zusammenhang stellt sich zwar die Frage, welchen Sinn es macht, den Auftrieb am Hauptflügel zu erhöhen, denn wenn die Strömung am Kopfflügel bereits abgerissen ist, ist ohnehin gleichzeitig die Höhenruderwirkung nicht mehr vorhanden, die Ente senkt in so einem Fall immer das Haupt und holt erst einmal erneut Fahrt auf. Was nützt es also, allein die Optik zu verschönern, wenn es keinen wirklichen aerodynamischen Vorteil bringt?
Ich finde, in der Idee stecken trotzdem zwei wichtige und interessante Entwicklungspotentiale:

  1. Der Verschiebung des Druckmittelpunktes muss eine Verschiebung des Schwerpunktes für die Erhaltung der Flugstabilität folgen. Die Verlängerung des Hebelarms verbessert die Höhenruderwirkung und mindert die Kräfte auf das Ruder.
  2. Die Hebelarme der Massenverteilung verlängern sich nach vorn und verkürzen sich nach hinten. Damit könnte es möglich sein, einen Heckantrieb zu realisieren, ohne große Ausgleichsmassen im Frontbereich des Flugzeugs mitschleppen zu müssen. Durch die bessere Wirkung des Kopfflügels könnte dieser sogar verkleinert werden.
Daher wollte ich ebenfalls wissen, ob die theoretischen Überlegungen praktisch nachweisbar waren, denn die Idee, einmal eine Ente mit Heckantrieb zu versehen, faszinierte mich nach wie vor.
Ohne größeren Aufwand betreiben zu müssen, konnte ich durch Ankleben von Strakes an meiner ursprünglichen Ente praktische Versuche durchführen. Ich wählte der Einfachheit halber die Dreiecksform mit einem dreieckigen Querschnitt wie auf Bild 2 in der Form A dargestellt.


Bild 6: Nachträglich angebrachte Strakes an meiner Ente

Doch wie weit müsste der Schwerpunkt nach hinten verschoben werden? Die Autoren hatten sich bei ihrem Test über die tatsächliche Verschiebung des Schwerpunktes, um einen stabilen Flug zu erreichen, ausgeschwiegen. Ich versuchte daher folgenden Weg:
Nach seinen Nachberechnungen erhöhte sich der Auftrieb durch die Strakes um ungefähr 35%. Die Programme, die mir zur Schwerpunktberechnung zur Verfügung standen, waren nicht in der Lage, die Auswirkungen von Strakes zu berücksichtigen.
Die Auftriebserhöhung bei der modifizierten alten Ente simulierte ich durch eine Vergrößerung der Hauptflügelfläche um 25%. Zum einen, indem ich die Spannweite und damit die Streckung stärker erhöhte und andererseits, indem ich die Profiltiefe bei gleichbleibender Spannweite vergrößerte. Der Unterschied zwischen beiden Methoden bewegte sich im Ergebnis bei 8 mm. Ich entschied mich für die Variante der Spannweitenerhöhung. Dadurch musste aber der Schwerpunkt nach diesen Annahmen insgesamt um gut 40 mm nach hinten verschoben werden.
Die Vergrößerung der Flügelfläche entsprach zwar nicht dem Maß der beschriebenen Auftriebssteigerung, doch ging ich diesen Kompromiss ein in der Hoffnung, je nach Wirkungsgrad der Strakes sowohl eine zu starke Verschiebung nach hinten wie nach vorne durch entsprechende Trimmung am Kopfflügel zunächst ausgleichen zu können.
Dort, wo sich in der Mitte des oberen Rumpfes der Regler befand, hatte ich eine abschraubbare Klappe vorgesehen. Der Rumpf war geräumig genug, sodass ich den Akku von vorn dorthin verschieben konnte, so erreichte ich die gewünschte Schwerpunktverschiebung ohne zusätzlichen Ballast.
An einem trüben kalten Morgen am 31.01.2011 war es dann soweit, das Wetter ließ einen Test zu. Mit einem drückenden Gefühl im Bauch gab ich Gas und nach gut 30 Metern hob die Ente ab. Was mir als erstes auffiel, war das starke Steigen bei Vollgas, das ich vorher nicht beobachten konnte. Der verlängerte Hebelarm für den Kopfflügel verstärkte also wie erwartet dessen Auftriebswirkung. Ich drosselte also auf Halbgas und drehte ein paar Gewöhnungsrunden. Das Höhenruder zeigte ebenfalls die erwartet bessere Wirkung, also den Motor ganz abschalten und schauen was passiert, wenn das Höhenruder bis zum Anschlag durchgezogen wird. Ein Abkippen über eine Seite war nach wie vor nicht zu beobachten, allerdings erhöhte sich deutlich die Frequenz des Abkippens nach vorn und wieder Aufrichtens, beim Strömungsabriss am Kopfflügel. Auch das konnte nur auf die Verbesserung des Hebelarms zurückzuführen sein. Selbst der Gleitwinkel verflachte sich und verbesserte die Segelflugeigenschaften. Inzwischen war das Grummeln im Bauch einer Freude gewichen und nach ein paar weiteren Gewöhnungsrunden leitete ich die Landung ein. Dabei erlebte ich die letzte positive Überraschung:
Bislang war es unmöglich gewesen, die Ente zur Landung stark anzustellen, das funktionierte nun. Der finale Bodenkontakt wirkte deshalb richtig elegant.
Alle Überlegungen waren also richtig gewesen. Die Simulation des erhöhten Auftriebs durch die Strakes mittels einer Vergrößerung der Spannweite zur Schwerpunktberechnung hatte ebenfalls gepasst. Somit stand mir ein Instrument zur Verfügung, mit dem ich auch bei meiner Weiterentwicklung, dem Sekato, arbeiten konnte. Wegen der vielen positiven Eigenschaften entschloss ich mich daher, den Sekato ebenfalls mit Strakes auszurüsten.

2 Kommentare:

  1. Könnte nicht ein weiterer Strakes-Querschnitt ein rechtwinkliges Dreieck sein? Also die Unterseite waagrecht und die Oberseite schräg? Oder sind hierbei die gewünschten Auftriebseffekte nicht so stark vorhanden wie bei den vorgestellten Querschnitten?

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  2. Hallo Gunther,

    ich habe im Internet recherchiert. Die NASA hat 1980 umfangreiche Untersuchungen an verschiedenen Strake-Formen vorgenommen, dabei ging es nur um die Geometrie, nicht um den Querschnitt (NASA Technical Report 1676).
    Der symmetrische Querschnitt scheint der effektivste zu sein.

    Gruss
    Thomas

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