Karikatur von Klaus Heilmann, http://www.kunstmalstudio.de/ |
Es war einer dieser ersten kalten Tage im neuen Jahr. Der Wind trieb eisige Kristalle durch die Luft, die wie winzige Rasierklingen in jedes Stück unbedeckter Haut fuhren. Der auf den Strassen gefrorene Schnee trug dazu bei, dass kaum jemand ohne einen notwendigen Grund hinausging, weil er Gefahr lief, sich auf dem glatten Boden ernsthaft zu verletzen.
Ich saß in meinem erst kürzlich neu bezogenen Büro und stellte mich auf ruhige Arbeitsstunden ohne Laufkundschaft ein. Selbst das Telefon blieb an diesem Tag erstaunlich passiv.
Eine dampfende Tasse Tee neben mir bei leiser Musik aus dem Radio sorgten für eine wohlige Atmosphäre während ich gerade -nichts Böses ahnend- die Ruhe für die Vorbereitungen unserer demnächst anstehenden Jahreshauptverwaltung nutzte. Zu diesem Zeitpunkt betrat unvermittelt eine weibliche Person -wohl Ende vierzig- die Räumlichkeiten. Die äußere Kälte schien sie wie eine zweite Haut übergestreift zu haben, denn im gleichen Moment fiel zunächst der Dampf über meiner Teetasse als feiner Schnee zurück auf den Tisch.
Besonders hübsch konnte ich meine Besucherin nicht nennen, wenig Humor schien ihr wegen der heruntergezogenen Mundwinkel eigentümlich zu sein. Deren scharfen nach unten zeigenden Falten unterstrichen noch ihre harten Gesichtszüge. Selbst der Gang in den Keller dürfte dieser Frau kaum genug Einsamkeit verschaffen, um auch nur die Andeutung eines Lächelns auf ihre Lippen zu zaubern. Genauso farblos wie sie selbst wirkte ihre Kleidung. Eine solche Person hatte ich zuletzt erleben müssen, als mein Sohn in den Vorbereitungen zu seiner Erstkommunion steckte und ich als Elternteil ebenfalls den Bekehrungsversuchen des Pfarrers ausgesetzt war. Unterstützt wurde der Kirchenvertreter damals von einer Frau, Typ „alte Jungfer“ mit Haaren auf den Zähnen, die ihr einziges Heil offensichtlich nur noch in der Glaubensvermittlung mit dem Feingefühl eines Dampfhammers suchte. Wegen dieser Erfahrungen vermutete ich auch diesmal wieder zunächst eine kirchliche Repräsentantin.
„Guten Tag, mein Name ist Karla Viper, ich bin Mitglied des Karnevalsvereins „Der fidele Lachsack“.“
Völlig überrascht von dieser unvermuteten Offenbarung und im Kampf, ein Lachen zu unterdrücken, bat ich die Dame, Platz zu nehmen. Ohne erkennbaren Grund verstummte plötzlich die Musik, während ich die Bildung der ersten Eiskristalle in meinem gerade eben noch fast kochend heißen Tee wahrnahm.
Die Frau ließ ihren Mantel selbst dann noch bis zum Hals zugeknöpft, nachdem sie sich stocksteif hingesetzt hatte. Mit bitterer Miene fuhr sie fort: „Unser Karnevalsverein „Der fidele Lachsack“ feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass geben wir ein Sonderheft heraus, in dem örtliche Vereine sich mit einer Werbung präsentieren können. Will das der Modellflugverein auch?“
Noch immer im Kampf mit meiner Selbstbeherrschung, der nur von der sich weiter lähmend ausbreitenden Kälte unterstützt wurde, schwirrten mir unvermittelt lauter launische Gedanken im Kopf herum. Seit Jahren im Vertrieb tätig, lockte mich die Herausforderung, auf eine geschlossene Frage, die man bekanntlicherweise nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten kann, zunächst ein neckisches „Nein“ entfleuchen zu lassen. Für das verschmitzte Grinsen, das die Abweisung untermalen sollte, um mein Gegenüber herauszufordern, würde die Dame sicherlich kein Gespür zeigen und sie stehenden Fußes kehrt machen lassen. Doch ließ sich der Gedanke, warum gerade diese wie ein Handlanger des Todes wirkende Frau Mitglied in einem Karnevalsverein war, zunächst nicht verscheuchen und ich gab mich ihm kurz hin: Vielleicht hoffte sie ja auf diesem Wege zumindest kurzzeitig einmal die Enden ihrer harten schmalen Lippen wie zu einem Lachen nach oben bewegen zu können? Möglicherweise sollte die Fröhlichkeit der fidelen Lachsäcke ja nur über die Verbitterung hinwegtäuschen? Oder sie verkörperte das Omen für ihren Karnevalsverein, der den Zenit seines Lebens bereits überschritten hatte? Wie dem auch sei, es sollte wohl auch vergnügtere Vertreter vom „fidelen Lachsack“ geben, sonst hätte der es sicherlich nicht auf eine 50-jährige Tradition gebracht. Ich verwarf die Idee einer vermeintlichen Konfrontation und schwenkte also auf Zusammenarbeit ein: „Was soll denn die Werbung kosten?“
„Unser Heft hat das Format DIN A5, das sind 148 Millimeter in der Breite und 210 Millimeter in der Höhe“, startete Sie in einem eisig monotonen Tonfall, den sie konsequent weiterführte.
„Die kleinste Anzeige wäre eine achtel Seite, das sind entweder 18,5 Millimeter in der Breite und 210 Millimeter in der Höhe oder 148 Millimeter in der Breite und 26,25 Millimeter in der Höhe und kostet Sie € 12,50. Die nächste Größe ist eine viertel Seite…
Obwohl sie bislang nur kurz geredet hatte, zog die Schwerkraft unterstützt von der Monotonie des Vortrages zunehmend an meinen Augenlidern. Inzwischen fand sich in meiner Teetasse ein völlig durchgefrorener brauner Eisblock, das Blut war aus meinen Händen entwichen.
„…die halbe Seite kostet Sie € 50,00, als nächstes dann…“, ratterte sie unentwegt weiter.
Mein Heil sah ich einzig nur noch in einer schnellen Entscheidung für einen Werbeplatz.
„Sie haben mich überzeugt, unser Flugverein präsentiert sich mit einer halben Seite“, unterbrach ich sie.
„Ich habe Ihnen ja noch gar nicht alle Werbemöglichkeiten vorgestellt, also dann gibt es noch die dreiviertel Seite…“
In diesem Moment dröhnte ein lautes Klingeln an mein Ohr. Bei dem Versuch, die Ursache der Geräuschkulisse abzustellen, öffneten sich meine Augen: es war bereits 6:10 Uhr, Zeit zum Aufstehen, Gott sei dank war das alles nur ein böser Traum.