Sonntag, 1. Januar 2012

Rückblick Teil II, Bauen fast ohne Ende!

Seit Monaten schon ging die Neonsonne kaum noch unter. Jede freie Minute verbrachten die beiden zunehmend bleicher werdenden Gestalten in ihrem Bastelkeller. Das Tageslicht mieden sie wie der Teufel das Weihwasser. Der Bau ihres neuesten Projektes ging dennoch nur in ganz kleinen Schritten voran. Lag es daran, dass die Erbauer mehr Zeit mit anderen Dingen als dem Basteln verbrachten? Nein, ganz gewiss nicht, in mühsamer Kleinarbeit vollzogen sie immer nur geringe Fortschritte. Woran lag es also?
Zur Jahreswende 1979/1980 kam meinem Vater die Idee, einen Flieger zu bauen, dessen induzierter Widerstand gen null gehen sollte. „So, so?!“, wird nun der interessierte Leser fragen, „und wie soll das gehen?“
Die Antwort darauf gibt Professor Flugwissen: „Der induzierte Widerstand entsteht bei der Umströmung der Flügelsaussenkanten durch den Druckausgleich zwischen der Ober- und Unterseite.“
„Das mag wohl sein, aber wie soll das verhindert werden?“
„Die ideale Auftriebsverteilung an einem Flügel sollte elliptisch sein, dann reduziert sich der induzierte Widerstand auf ein Mindestmaß, im Idealfall ist er gleich null.“, erklärt uns wieder Professor Flugwissen.
„Also brauchen wir nur einen elliptischen Flügel zu bauen, dessen Ellipsenhälften von Nasen- und Endleiste sich genau im Druckmittelpunkt treffen.“
„In der Tat, so einfach ist das!“, konstatiert Professor Flugwissen.


Wie so oft, hört sich das in der Theorie einfach an, nur die praktische Umsetzung fällt meist etwas anders aus. Genauso erging es auch meinem Vater und mir. Nachdem wir die Umrisse unseres neuen Fliegers gezeichnet hatten, wurde mir die verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, sämtliche Muster- und Negativrippen für den Aufbau zu erstellen und zwar nicht nur für den Flügel, sondern selbstverständlich auch für das Höhenleitwerk, denn allein schon von der Optik her passte natürlich hier ebenfalls nur der elliptische Grundriss.
Mit Unterstützung durch einen Computer ist das alles kein Problem, dummerweise steckte dessen Entwicklung damals noch in den Kinderschuhen gepaart mit utopischen Preisen. Es blieb nur Eigeninitiative, tagelang rechnete ich von Hand mit dem mir immerhin schon zur Verfügung stehenden Taschenrechner die benötigten Rippentiefen und die Anhebungen der einzelnen Negativrippen aus, um eine gerade Flügelmittelinie zu erhalten. Anschließend zeichnete ich aus den auf Millimeterpapier einzeln berechneten Stützstellen mit Hilfe eines Kurvenlineals die Profile (NACA 0015), markierte die Bereiche für Nasenleiste, die Querruder sowie die Aussparungen für die Holme. Diese Vorlagen klebte ich auf Pappe und schnitt sie mit einer Schere aus: fertig waren die Musterrippen!
Aus aktueller Sicht klingt das nach steinzeitlichen Methoden, denn mit den erhältlichen Profilberechnungsprogrammen ist heutzutage eine solche Arbeit an einem Nachmittag mit weitaus höherer Profiltreue erledigt. Vor gut dreißig Jahren gehörte das allerdings zur üblichen Tagesordnung eines Modellbauers.
Dauerte der erste Arbeitsschritt bereits derart lange, so war das nur ein Vorgeschmack auf den Flügelaufbau. Auf den befestigten Negativrippen lag die Balsabeplankung, darauf wurden die Holme und Rippen geklebt. Im Bereich der Nasenleiste füllten zunächst Balsastückchen die Zwischenräume, bevor davor die durchgängige Nasenleiste geklebt wurde. Man sollte es nicht aus den Augen verlieren: es gab im Grundriss keine einzige gerade Linie, überall beherrschte die Ellipse den Querschnitt. Und noch ein weiteres war wichtig: Sekundenkleber stand uns damals ebenso wenig zur Verfügung. Sämtliche Verklebungen erfolgten mit UHU hart, sodass viele Bauabschnitte erst durchgetrocknet sein mussten, bevor der nächste in Angriff genommen werden konnte. Da der Flügel geteilt war, fand dieses Bauverfahren zweimal dort und einmal am ungeteilten Höhenleitwerk seine Anwendung. Kein Wunder also, wenn es trotz des hohen Zeitaufwandes nur in kleinen Schritten voran ging und die Neonsonne kaum noch unterging.
Im Gegensatz dazu ging der Aufbau des Rumpfes in riesigen Schritten voran. Wie lange wir tatsächlich an diesem Flieger gebaut haben, kann ich nicht mehr nachvollziehen, mehrere intensive Monate waren es bestimmt, schließlich stand er rechtzeitig im Sommer 1980 flugfertig vor uns. Und wie so oft ist dem fertigen Produkt die in ihm steckende Arbeit nicht anzusehen.
Als Motorisierung kam ein 20 ccm OS-Viertakter zum Einsatz, ein Motor, der sich noch heute in meinem Besitz befindet und vorerst letztmalig auf einer Stinson Reliant im Mai 2010 zum Einsatz kam, doch das ist eine eigene Geschichte, die demnächst bei Quax´ Modellfliegergeschichten zu lesen sein wird.
Natürlich war der Flieger im Flug die Innovation schlechthin, flog langsamer als jeder andere und seine Kunstflugtauglichkeit übertraf jedes reinrassige RC-1 Modell, wie die Kunstflugmodelle damals noch hießen. Mit solch erwartungsvoll stolz geschwellter Brust geht natürlich jeder Konstrukteur an den Erstflug heran, selbst wenn in der hintersten Ecke des Bauches doch ein nervöses Grummeln verbleibt. Dabei steht die Intensität des Grummelns in proportionalem Verhältnis zur Dauer der Bauzeit. Anders gesagt, ging es in meinem Bauch ziemlich drunter und drüber.
Tatsächlich flog sich der Ellipsenflügler sehr ruhig und unkritisch, die Motorisierung bei einem Startgewicht von knapp über 5 kg und einer Spannweite von 1,80 m fiel allerdings etwas mager aus, gerade bei Aufwärtsfiguren ging dem Motor schnell die Puste aus. Das Seitenruder hätte für einen Messerflug größer ausfallen können. Die Flugoptik hingegen mit ihrem extravaganten Aussehen rechtfertigte schon ein wenig den hohen Aufwand. Zu einer stärkeren Motorisierung kam es leider nicht mehr, wenige Monate nach dem Erstflug fiel aus unerklärlichen Gründen das Höhenruderservo aus, bei einer Ausgangshöhe von gewiss 50 Metern blieb nichts mehr zum Retten übrig. Das schmerzte umso mehr, weil wie so oft die lang währende Bauphase in Bruchteilen von Sekunden zunichte gemacht wurde. Wäre es kein technischer Defekt gewesen sondern vielleicht Leichtsinn, hätte ich mich zumindest über mich selbst ärgern können. Einen derart aufwändigen Bau haben wir danach jedenfalls nicht mehr in Angriff genommen. Nach wie vor wird auch die Frage ungeklärt bleiben, ob wir tatsächlich mit dem Ellipsenflügel eine aerodynamische Optimierung realisiert haben. Letztlich hätte diese Frage aber nur in einem Windkanal überprüft werden können.
Glücklicherweise ist die Technik heute zuverlässiger geworden, ähnliche Abstürze sind mir -dreimal auf Holz geklopft- seit längerem erspart geblieben.

2 Kommentare:

  1. So wie man früher gebaut hat ist heutzutage kaum noch vorstellbar.
    Erstaunlich wie viel der Computer an Arbeit abnimmt, das fällt einem erst dann wieder ein, wenn man alles von Hand machen muss.
    Mir gefällt der Bericht sehr gut, und es wäre schöne mehr von der früheren Zeit zu lesen.

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  2. Hallo Gunther,
    danke für Deinen Kommentar. Freut mich, dass Dir der Beitrag gefällt.
    Ja, erst wenn man die Vorcomputerzeit erlebt hat, wird einem klar, wie sehr uns doch so ein Hochgeschwindigkeitstrottel unterstützen kann.
    Leider sieht es mit Bildmaterial aus meiner Anfangszeit mehr als dürftig aus, sodaß ich wohl eher nur mit Text kommen kann. Aber vielleicht gibt es ja unter den Bloglesern den ein oder anderen, der Beiträge zusteuern kann? Würde mich freuen, von langjährigen Modellbauern zu hören. Bitte meldet Euch unter delfis@web.de
    Danke!
    Thomas

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